Stretching neu bewertet: Was aktuelle Studien wirklich über Leistung, Verletzungsrisiko und Praxisrelevanz sagen
- Alexander Eigner
- 23. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Stretching im Wandel der Zeit
Stretching war jahrzehntelang ein gesetzter Bestandteil im Training von Freizeitsportlerinnen, ambitionierten Athletinnen und Profis.
Es sollte Verletzungen verhindern, die Leistung verbessern und die Regeneration unterstützen.
Doch in den letzten Jahren wurde dieses "Dogma" zunehmend kritisch beleuchtet.
Die heute verfügbaren Studien liefern ein differenzierteres Bild. Einige widerlegen gängige Mythen, andere liefern praktische Erkenntnisse für den individuellen Einsatz.
In diesem Beitrag vergleiche ich fünf hochkarätige wissenschaftliche Arbeiten, darunter zwei Meta-Analysen, eine internationale Delphi-Konsensstudie, eine Narrative Review sowie eine Interventionsstudie im Radsport. Ziel ist es, aufzuzeigen, was Stretching kann, wann es sinnvoll ist – und wann nicht.
🔢 Die Studien im Überblick
Studie | Design | Stichprobe | Hauptfokus |
Warneke & Lohmann (2024) | Meta-Analyse | 83 Studien, 2012 Teilnehmer | Kraft, Sprungleistung, ROM |
Warneke et al. (2025) | Meta-Analyse | 15 Studien | Einfluss von Stretching auf Running Economy |
Warneke et al. (2025) | Delphi-Studie | 20 internationale Expert*innen | Praktische Empfehlungen |
Baxter et al. (2017) | Narrative Review | - | Stretching bei Ausdauerläufer*innen |
Dai & Luo (2023) | Interventionsstudie | 20 Elite-Radsportler | Dehnung nach intensiver Belastung |
🔍 Ergebnisse im Vergleich
⚡️ Kraft und Sprungleistung: Nur bei zu langem statischen Stretching problematisch
Die Meta-Analyse von Warneke & Lohmann (2024) führt zum ersten Mal eine Trennung nach Stretching-Typ, -Dauer und -Intensität durch. Ergebnisse:
Statisches Stretching >60 Sekunden reduziert Maximalkraft signifikant (ES = -0.84)
<60 Sekunden statisch oder dynamisch: kaum Effekte auf Kraft (ES zwischen -0.07 und -0.21)
Sprungleistung: neutral bis leicht verbessert (ES = 0.04)
Kritisch: Viele ältere Studien verwendeten unrealistisch lange Dehnzeiten (z.B. 4x60s je Muskelgruppe) – nicht praxisnah!
🏃️ Running Economy: Keine Beeinträchtigung durch Stretching
Die systematische Review von Warneke et al. (2025) zeigt:
Stretching (stat./dyn./PNF) beeinflusst Running Economy nicht negativ (p = 0.21–0.65)
Subgruppenanalysen: auch bei verschiedenen Laufintensitäten keine signifikanten Effekte
Die wenigen Studien zu chronischem Stretching zeigten keine Leistungsverbesserung, aber auch keine Verschlechterung
Bewertung: RE ist multifaktoriell – Dehnverhalten spielt eine untergeordnete Rolle
🏋️️ Beweglichkeit: Effekt nach 4-6 Wochen gesichert
Akute Verbesserungen möglich nach 2×5-30s pro Muskelgruppe
Signifikante chronische Effekte erst bei min. 6 Wochen, 3x/Woche
Alternativen: Foam Rolling, Exzentriktraining, PNF
Spezifisch bei Radsportlern: Dai & Luo (2023) zeigen eine signifikante Steigerung in Vorbeugetests nach 8 Wochen post-training Stretching【198†source】
🧬 Verletzungsprophylaxe: Weniger Evidenz als angenommen
Sowohl Baxter et al. (2017) als auch Warneke et al. (2025) bestätigen: Stretching verhindert keine Verletzungen direkt【196†source】【197†source】
DOMS (Muskelkater) kann reduziert werden
Die Verletzungsanfälligkeit durch Flexibilität folgt einer U-Kurve: zu wenig & zu viel sind ungünstig
Ergänzung:
Dai & Luo (2023): Stretching nach Radrennen reduziert Überlastungsprobleme und verbessert subjektives Erholungsgefühl【198†source】

🔹 Praktische Empfehlungen nach Zielgruppe
🚴 Einsteiger:
2x/Woche dynamisches Stretching im Aufwärmen
Kein langes statisches Dehnen vor intensiven Einheiten
🚴♂️ Ambitionierte Athlet*innen:
ROM-spezifisch dehnen (z.B. Waden, Oberschenkelrückseite)
Kurzes statisches Dehnen (20–30s) vor Techniktraining OK
Kein statisches Dehnen vor Sprints oder Krafttraining
🏅 Profis:
Stretching zur gezielten Mobilisierung, z. B. für Aeroposition
Integration in Regenerationseinheiten sinnvoll
Chronisches Stretching: 3x/Woche, gezielt programmieren
📚 Coaches & Trainer*innen:
Keine Dogmen mehr: "Stretching = Pflicht" ist überholt
Anpassung je nach Athlet: Anatomie, Disziplin, Defizite
Beweglichkeitsziele ins Athletiktraining integrieren
📜 Fazit: Stretching ist differenziert zu betrachten
Stretching ist kein Allheilmittel. Aber richtig dosiert kann es:
Beweglichkeit erhalten/fördern
subjektive Erholung verbessern
funktionale Bewegungsmuster unterstützen
Nicht belegt ist jedoch:
Eine leistungssteigernde Wirkung auf Ausdauerleistung
Eine veränderte Running Economy
Eine Verletzungsprophylaxe in Abwesenheit von muskulären Dysbalancen
„Stretching ist kein Muss. Aber sinnvoll – wenn es zielgerichtet eingesetzt wird.“
📔 Literatur
Warneke, K. & Lohmann, L. H. (2024). Revisiting the Stretch-Induced Force Deficit. Journal of Sport Health Sci.【194†source】
Warneke et al. (2025). Acute and Chronic Effects of Stretching on Running Economy. Sports Medicine - Open【197†source】
Warneke et al. (2025). Practical Recommendations on Stretching. Journal of Sport Health Sci.【195†source】
Baxter et al. (2017). Impact of stretching on performance and injury risk in long-distance runners. Research in Sports Medicine【196†source】
Dai & Luo (2023). The Effects of Stretching on Training Cyclists. Rev Bras Med Esporte【198†source】




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